Österreich

Wieder Wahlanfechtung?

12 Sep , 2017  

Könnten erneute Irregularitäten und andere Aspekte der Wahldurchführung zum Anlass genommen werden?

Profil vom 12.9. 2017

Das Vertrauen ins Wahlsystem ist ramponiert.

Die Gruppe wahlbeobachtung.org, darunter österreichische OSZE-Wahlbeobachter, warnt: Weil für Wahlzeugen keine Amtsverschwiegenheit gilt, kann sie niemand am Veröffentlichen von Sprengelergebnissen vor 17 Uhr hindern. Jüngst scheiterten einige Parteien, genügend Wahlbeisitzer zu entsenden, ein weiterer Anfechtungsgrund.

Als Lösung schlagen die Wahlbeobachter vor, Beisitzer nicht mehr über Parteien zu nominieren, besser zu entlohnen und bundesweit einheitlich zu schulen.

Richtigstellung von wahlbeobachtung.org zum Profil Artikel vom 12.9.2017: wahlbeobachtung.org empfiehlt den Wahlbeisitz zu öffnen um nicht nur von Parteien nominierten Personen diese Möglichkeit der aktiven Demokratiepartizipation zu ermöglichen. Der Profil Artikel vom 12.9.2017 basiert auf den unten angeführten Artikel von wahlbeobachtung.org vom 28 August 2017.

Internationale Wahlbeobachter warnen vor neuerlichen Wahlanfechtungen und fordern umfassende Wahlreformen nach der NRW 2017

Bereits im problematischen Wahljahr 2016 haben internationale Wahlbeobachter der unabhängigen, unparteiischen Plattform wahlbeobachtung.org mit den politische Parteien sowie der Bundeswahlbehörde die Notwendigkeit von umfassenden Wahlreformen besprochen, doch eine geplante gründliche Wahlreform hat bislang nicht stattgefunden. Wiederholte Empfehlungen seitens der OSZE an österreichische Behörden wurden trotz des derzeitigen Vorsitzes bislang nicht ausreichend umgesetzt.

Die umfassende Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl durch den VfGH stellt einen Präzedenzfall dar, der weitere Einsprüche nach sich ziehen könnte. Nach dem 15. Oktober könnten erneut Irregularitäten und andere Aspekte der Wahldurchführung zum Anlass genommen werden, um die Wahl zu beeinspruchen.

könnten erneue Irregularitäten und andere Aspekte der Wahldurchführung zum Anlass genommen werden

Mögliche Gründe für Wahlanfechtungen:

Warum sollten wahlwerbende Gruppen die NRW 2017 beeinspruchen? Neben dem legitimen Ansinnen Unregelmäßigkeiten zu korrigieren können auch knappe Resultate dazu beitragen dass eine angestrengte mögliche Wiederaustragung einer Wahl oder Teilwahl zu einer Resultatsverschiebung führen könnte. Eine Motivation dafür könnte etwa das Erreichen der 4%-Hürde für den Einzug ins Parlament, das Erreichen eines Direktmandats, oder das Überspringen der 1%-Hürde für öffentliche Zuschüsse zu Wahlkampfkosten sein.

Wahlanfechtungen können von einer am Wahlkampf beteiligten Partei oder einer Person, die vermeintlich unrechtmäßig von einer Kandidatur ausgeschlossen wurde – nicht aber von einzelnen Wählern – eingereicht werden. Wahlbeschwerden können nur innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der endgültigen Wahlergebnisse am Verfassungsgerichtshof – und nur an diesem –  eingebracht werden.

Einsprüche wahlwerbender Gruppen könnten wie schon im letzten Jahr nicht nur einen spezifischen Bereich der Wahl thematisieren sondern mehrere Themen umfassen. Dazu zählt die Frage, ob von den Parteien genügend und ausreichend qualifizierte Beisitzer nominiert und diese von den Behörden ordnungsgemäß geladen wurden. Nach der Wahl könnte sich die Frage stellen, ob alle Wahlbehörden entsprechend handlungsfähig waren.

Ein weiterer kritischer Punkt, der auch zur Wiederholung der BP-Stichwahl führte, ist die Veröffentlichung von frühen Wahlsprengelresultaten oder Hochrechnungen vor 17 Uhr, insbesondere über soziale Medien. Zudem haben Wahlzeugen in Österreich keine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit. Das Teilen früher Wahlergebnisse kann anonym über internationale Server stattfinden, wie dies in den meisten westlichen Demokratien bereits der Fall ist. Die Gefahr in Österreich besteht darin, dass der VfGH mit seinem letztjährigen Erkenntnis den Handlungsspielraum diesbezüglich einschränkt hat.

Ein weiteres, nach wie vor nicht ausreichend gelöstes Thema sind die Briefwahlkarten. Hierfür wird seit Herbst 2016 wieder ein früheres Kuvertformat verwendet, das die Unterschrift des Wählers außen sichtbar trägt. Aufgrund der in Österreich geltenden Datenschutzrichtlinien könnte dieses Format und damit das Wahlergebnis beanstandet werden. In einer Stellungnahme im Jahr 2009 verwies der österreichische Datenschutzrat auf das Datenschutzgesetz: „Aufgrund des von § 1 Abs. 2 DSG 2000 vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsgebots wäre es sohin geboten, dass für die Übermittlung der Wahlkarte an die Wahlbehörde bei der Briefwahl ein neutraler Umschlag mit der Adresse der Wahlbehörde als Empfänger bereitgestellt wird und darüber hinaus von der zwingenden Anführung personenbezogener Daten des Wählers auf dem Umschlag Abstand genommen wird.“

Bei der letzten Wahl wurden zudem mehr als 30,000 abgegebene Stimmen aufgrund fehlender Unterschriften am Kuvert für ungültig erklärt. In fast 1,000 Fällen kamen Wahlkarten beschädigt an und flossen nicht in die Auszählung ein; auch die Zahl der zu spät oder gar nicht eingelangten aber abgesandten Wahlkarten könnte über 1 % liegen.

Andere Aspekte der Wahl welche in möglichen Wahleinsprüchen inkludiert werden könnten sind die Reihung der wahlwerbenden Gruppen auf den Stimmzetteln, die Einhaltung des Gleichheitsprinzips durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF bei zehn bundesweit antretenden wahlwerbenden Gruppierungen, unzureichende gesetzliche Regelungen und Vorrichtungen für die gleichberechtigte Teilnahme von Wählern mit Behinderung, sowie die Wählerevidenzverzeichnisse welche bis jetzt noch nicht zu einem zentralen Wählerregister mit entsprechenden Kontrollmöglichkeiten zusammengefasst wurde. Das Thema Doppelstaatsbürgerschaften wurde breit diskutiert und von einer Studie im Auftrag der Bundeswahlbehörde entsprechend erörtert.

Die späte Verfügbarkeit von vorläufigen Endergebnissen erst Tage nach der Wahl (aufgrund des späten Auszählens der Briefwahlstimmen) stellt zwar keinen Anfechtungsgrund dar, bestätigt aber die Notwendigkeit von Wahlreformen.

Quo vadis Wahlreformen?

Die anstehenden Wahlreformen sollten in der nächsten Regierungsvereinbarung festgeschrieben sowie umfassend und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft umgesetzt werden.

Wahlbeobachtung.org hat schon im vergangenen Jahr Vorschläge zur Wahlreform unterbreitet. Zwei Beispiele:

1) Da das historisch gewachsene, auf zwei Großparteien basierende System von Wahlbeisitzern mittelfristig nicht mehr durchführbar sein wird, sollte der Beisitz geöffnet und breiter gedacht werden. Ein bundesweites Trainingsprogramm und einheitliche, angemessene Entlohnung sollte das an sich sehr gute System ergänzen; der Beisitz könnte mit der Abhaltung von Praktika und der Wählerbildung für Jungwähler verbunden werden.

2) Wahlberechtigte, speziell aus dem Ausland, sollten über eine Webseite eruieren können, ob ihre Briefwahlkarte rechtzeitig eingelangt ist und in die Stimmauszählung miteinbezogen wurde. Das zentrale Wählerregister, das 2018 eingeführt werden soll, sollte dies ermöglichen.

Das OSZE Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) entsandte im August einmal mehr eine Bedarfserhebungsmission nach Wien. Es ist damit zu rechnen, dass die OSZE zum 15. Oktober wieder eine Wahlbewertungsmission entsendet, da Österreich seine internationalen Verpflichtungen zur Abhaltung sicherer und demokratischer Wahlen nicht gänzlich erfüllt. Österreich, als Sitz der OSZE und derzeit mit der Verantwortung des Vorsitzes ausgestattet, hätte hier die Möglichkeit bei entsprechend umgesetzten Wahlreformen nicht nur die Integrität des heimischen Wahlprozesses zu verbessern, sondern auch seine Vorbildrolle in der OSZE und in Europa weiter auszubauen.

Wahlbeobachtung.org ist eine unabhängige, unparteiische, zivilgesellschaftliche Arbeitsgemeinschaft österreichischer Wahlbeobachter und -experten mit internationaler Wahlerfahrung, die das Ziel verfolgt, konstruktiv zur Verbesserung der österreichischen Wahlprozesse und des Wahlsystems beizutragen. Mit einem Vorschlagskatalog will wahlbeobachtung.org daran mitwirken, das Vertrauen in die österreichischen Wahlprozesse und deren Integrität wieder zu stärken und das Hinterfragen der Wahlprozesse als Chance für künftige weitreichendere Reformen verstanden wissen.